Moin Johannes Frey
erstmal
Ich hab mir dann Dein neustes Video angeschaut. Ich schildere mal, was ich dabei so empfand. Bildqualität. Tonqualität, englische Aussprache, etc. sind soweit ganz okay. Sicher kann man da immer noch irgendwas verbessern, aber Du erfüllst die wichtigsten und grundlegendsten Anforderungen, damit ein Video überhaupt eine Chance hat, seinen Inhalt an den Zuschauer zu bringen. Also befassen wir uns mal mit dem tatsächlichen Inhalt.
Zuerst, das Video ist 4:49 lang und nach der Wiederholung der Fragestellung, die etwa 12 Sek dauert, folgt ein Intro, das grob nochmal 8 Sekunden dauert. Damit sind bereits 20 Sekunden vergangen, ohne, dass ich wirklich was davon hätte. Technisch gesehen ist es gut, wenn Du zu Beginn eines Videos nochmal bestimmte Keywords einwebst, damit die KIs das Thema des Videos schnell bestätigt bekommen. Aber das Intro dazu ist dann bereits "Fluff", also Füllmaterial. 8 Sekunden fürs Intro ist nicht furchtbar, aber bereits an der Grenze dazu, Zuschauer zum Zweifeln zu bringen, ob das Video wirklich das bringt, was es verspricht. Langsam beginne ich als 0815 Zuschauer die Aufmerksamkeit zu verlieren, wann geht es denn nun endlich los? Wann erfahre ich denn endlich, wie ich alle meine Probleme rund um meine Probleme damit, Projekte zu beenden, lösen kann?
Dann folgt nochmal 40 Sekunden Schilderung, wer Du bist, und wie das so ist, wenn man ein Projekt beenden sollte, es aber nicht tut. Aber mehr aus der Sicht eines Menschen, der das Problem hat, weiterhin keine Lösung. Da ich das Video angeklickt habe, kenne ich diese Probleme aber bereits, eine ausführliche Schilderung, wie sich das Problem anfühlt, ist also nicht wirklich eine Lösung. Aber Deine Definition des Problems wird für manche Zuschauer bereits klar machen, das Problem, um das es in diesem Video gehen wird, ist gar nicht Ihr Problem, eine gewisse Menge Zuschauer springt hier bereits ab. Probleme über Probleme mit zuvielen Problemen. Insgesamt eine sehr lange Passage, ohne richtige Relevanz für den User. Danach sagst Du dann, dass Du nun Deine Gedanken rund um dieses Problem teilen möchtest. Okay, diese Info ist dann völlig redundant, schließlich hast Du ein Video gemacht, dass im Titel andeutet, dass Du was dazu zu sagen hast. Der Hinweis, dass Du zu diesem Thema was sagen willst, ist also absolut unnötig. Langsam bekomme ich das Gefühl, ich werde hingehalten, das Bedürfnis auf Stop zu drücken, oder auf eines der anderen Videos rechts am Rand wird stetig größer.
Und wenn ich darauf schaue, wie viel Video noch übrig ist, steigen Zweifel in mir auf, dass in den folgenden 3 Minuten tatsächlich noch etwas Hilfreiches kommen kann, die Zeit wird stetig weniger, in der Hilfe kommen könnte. Dann folgt dann auch noch der Hinweis, ich soll das Video liken und dass Du das gut finden wirst. Aber ich hab doch immer noch keine Lösung, und es bereits 1:12 im Video, also sind bereits 25 % des Videos vorbei und ich habe bisher nur gewartet, ohne den Hauch einer Lösung meines dringenden Problems. Und ist das von Dir geschilderte Problem auch wirklich exakt das, was ich mit meinem Projekt habe? Vielleicht ist mein Grund, ein Projekt nicht beenden zu können, etwas ganz anderes, als das, was Du schilderst?
Am Rande fällt mir auf, wie Du mit Deinen Händen herum ruderst. Ich weiß, es wird immer empfohlen, mit etwas Körpersprache und Handgesten zu arbeiten, wenn man einen Vortrag hält. Das funktioniert wohl auch bei den meisten Menschen. In der Intensität und Häufigkeit, in der Du mit den Händen wedelst, und weil ich immer noch auf tatsächliche Infos warte, kommt mir im Hinterkopf der Gedanke, ob Du Dir Dein Studium eventuell auf einem Flugplatz als Einweiser verdient haben könntest. Ich kann mir Dich gut mit so zwei Winke-Fähnchen vorstellen, wie Du auf der Landebahn stehst und einen dicken Jet zum Parkplatz dirigierst.
Das Video geht weiter. Nun kommst Du endlich zum Thema. Es folgt allerdings eine Präzisierung des Problems, es geht also nur um einen ganz bestimmten Aspekt, die Angst bewertet zu werden. Sicher eine wichtige Sache, beim Themenkomplex "Projekte nicht abschließen", aber nur einer von zahlreichen möglichen Gründen. Wenn mein Problem also gar nicht diese Angst ist, sondern etwas anderes, ist das Video eventuell für diesen Teil der Zuschauer endgültig gelaufen. Bei ca. 3:09 hast Du dann diesen Problemkomplex nochmals detailliert zusammengefasst. Ich identifiziere also Kritik am Produkt mit mir und als Kritik an meiner Person. Okay, das mag sein, aber was denn jetzt dagegen tun? Aha, anderen geht es auch so, ich bin also nicht bekloppt (zumindest nicht nur ich), aber das löst das Problem immer noch nicht. Das Video ist 2/3 herum, endlich weiß ich, was Du denkst, was mein Problem sein könnte. Aber eine Lösung oder die Aussicht, dass es eine Lösung geben wird, ist weiterhin nicht in Sicht. Und das Ende des Videos rückt immer näher, die Zweifel, dass es wirklich eine Lösung geben wird, steigen rapide. Vermutlich wirst Du am Ende nochmal 1 min lang über Likes, Subscribes und andere Videos von Dir reden. Der Platz für eine Lösung wird also knapp und knapper.
Dann folgt die Aussage, ich soll also mein Projekt früher präsentieren. Okay, das mag den Druck etwas herausnehmen, sozusagen "Early Access - Beta Testing", das kann helfen, für manche. Der ganze Lösungsansatz ist also in 2 Sätzen gesagt, 10 Sekunden vom Video sind die Lösung, der Rest ist die Wiederholung der Fragestellung und einiges an Füllstoff. Das war jetzt alles? Diese kleine Lösung für einen kleinen Teilbereich des großen Themenkomplexes? Selbst Zuschauer mit tatsächlich exakt diesem Unter-Problem des umfangreichen Gesamt-Topics werden mit dieser Lösung nicht wirklich befriedigt sein. Ein weiterer Teil der Zuschauer wird hier abschalten, weil sie unzufrieden sind. Ein Teil mag die Lösung gefallen, aber sie merken, dass die eigentliche Aussage des Videos gefallen ist, und mehr Hilfe wird jetzt nicht mehr kommen, auch sie schalten teilweise bereits hier ab.
Am Ende folgen, wie zu erwarten war, nochmal knapp 30 Sekunden, "go nuts on the likebutton" (wie oft soll ich den wohl drücken?) und vermutlich bricht hier die Retention des Videos auf unter 25% ein. Ein Outro schön und gut, aber im Endeffekt sind es 5-10% vom Video und jeder halbwegs intelligente Mensch wird merken, dass dies nur noch mehr Füllstoff-Abspann ist. Und Deine angesprochene Zuschauerschaft besteht aus hochintelligenten Projektleitern und Entwicklern, gehe also davon aus, dass sie sehr viele der "üblichen Vorschläge" für Zuschauer-Manipulation und -Steuerung sehr viel früher durchschauen können, als der Normalo-Zuschauer, den vielleicht der Kursleiter Deines "Werde erfolgreich mit YouTube"-Kurses, den Du vermutlich absolviert hast, mit seinen Inhalten angepeilt hatte.
Aber abseits von diesem hypothetischen Zuschauer, den ich hier im Post vorgebe, ist das wirklich eine Lösung für alle "Niemals-Projekt-Beender"? Gibt es nicht noch dutzende andere mögliche Gründe für diese und ähnliche Probleme bei der Realisierung eines Projekts, wie zum Beispiel das Verheddern in tausend kleine Unterbereiche, übertriebener Perfektionismus, Impostersyndrom und andere? Für all jene, bietet dieses Video gar keinen befriedigenden Ansatz. Die Chance, dass also Zuschauer vom weitreichenden und allgemeinen Titel angelockt wurden, und das Video im Endeffekt gar nicht Ihr direktes Problem anspricht und am Ende keine Lösung bietet, ist also extrem groß. Und dies bietet eine enorm hohe Chance, die Zuschauer im Laufe des sowieso schon extrem kurzen, aber gleichzeitig auch noch stark gestreckten Videos zu verlieren. Dies senkt die Retention gewaltig.
Als Lösung würde ich vorschlagen, den Titel enger zu fassen. Wenn Du nur über einen winzigen Teilaspekt eines großen Problems reden möchtest, dann definiere die Fragestellung des Videos auch entsprechend. Heische nicht nach Aufmerksamkeit einer großen Personengruppe, die weitreichende Problemkomplexe haben, und biete dann, umhüllt von allerlei Fluff, nur die eine kleine Lösung für einen Teilbereich des gesamten Komplexes an. Im Endeffekt ist das Problem dieses Videos, eine sehr verdeckte Form von Clickbait.
Vielleicht ist Dir das selbst gar nicht bewusst. Aber Du nimmst ein großes Problem, das viele haben, sprichst damit eine größere Gruppe an. Aber das, was im Video kommt, ist tatsächlich nur eine sehr kurze, einfache Lösung für eine kleine Gruppe in der gesamten Zuschauermenge, die der Titel angelockt hat. Und sehr viele Zuschauer merken im Laufe des Videos, dass dieses Video ihnen nicht geben wird, was sie sich erhoffen, und schalten mittendrin ab. Ergebnis: Die Retention sinkt und sinkt. Mit einer klarer gefasst Problem-Definition bereits im Titel würdest Du gezielter Menschen anlocken, die exakt dieses Problem haben, für das Du eine Lösung anbietest, diese Teilmenge wird länger schauen und am Ende zufriedener mit Deinem Video sein.
Insgesamt würde ich sagen, respektiere die Lebenszeit Deiner Zuschauer etwas mehr. Weniger Fluff, weniger drumherum Gerede. Deine Zielgruppe ist wie gesagt Entwickler, studierte Informatiker, Projektleiter, etc. Diese Menschen sind überdurchschnittlich intelligent, und als Projektleiter sind sie vermutlich zumindest teilweise auch Teamleiter, etc. und das wird man, wenn man stärkere empathische "Sensoren" hat, als der Durchschnittsmensch. Dies musst Du auch in Deinen Videos berücksichtigen. Dadurch werden viele "Tutorials" von YouTube Vortänzern hinfällig, weil diese für den Durchschnitts-Zuschauer oder eventuell sogar für eine "eher-RTL/Bild-Niveau-Zielgruppe" arbeiten. Deine Zielgruppe braucht aber spezielle Aufbereitung von Themen, denke ich.
So, dies sind nur meine persönlichen Gedanken zu Deinem neusten Video "The issue with not finishing your development projects". Nichts davon ist als persönliche Kritik gedacht, aber da Du genau über diese Trennung von Kritik am Produkt und Kritik an der Person hinter dem Produkt in Deinem Video redest, verstehst Du das bestimmt auf Anhieb.