Ach, eine herrlich einfach Frage und doch so ein komplexes Thema.
Also ich sehe "Community" als eine Gruppe von Menschen, die gemeinsame Interessen haben, oder mit denen man aus unterschiedlichen Gründen gemeinsame Zeit verbringt und für die man einen Teil seiner Lebenszeit aufwendet. Menschen sind für mich erstmal grundlegend immer was Positives und als Mensch, der früher auch mal Depressionen, Probleme mit Selbstbewußtsein, Gruppendruck und Wünschen nach Anerkennung hatte, weiß ich dass dies ein zweischneidiges Schwert ist. Menschen sind wichtig, man braucht sie, aber Menschen können auch wehtun und nicht gut für einen sein. Ich halte meine Zeit für ein hohes Gut und wende sie gern für nette Menschen auf, reduziere dies aber immer sofort auf ein absolutes Mindestmaß wenn jemand mir zeigt, dass ich für ihn unwichtig bin, oder dass die Person nicht nett ist oder nicht nett zu anderen Menschen ist.
So gibt es viele Verschiedene Arten von Menschen, natürlich ist jeder Mensch ein Individuum, und man sollte jeden Menschen auch einzeln beurteilen und seine eigene Chance geben und nicht durch Schubladen denken und vorzeitiges einsortieren Menschen ausgrenzen oder sogar diskriminieren.
Aber unser Gehirn funktioniert mit Schubladen besser. Also kann man Menschen in Schubladen stecken um besser über sie nachzudenken. Man sollte aber beachten, dass man Menschen nicht für immer in eine Schublade einsperrt, sondern ihnen die Chance gibt, die Schubladen immer mal wieder zu wechseln. Wer in welcher Schublade steckt, kann aber extrem Einfluss haben, was die Wichtigkeit für mich anbelangt und ich denke, es ist auch sehr nötig hier zu unterschieden.
Ich sortiere das für mich im Kopf sehr stark. Und so setze ich ganz unterschiedliche Prioritäten, was meine Mitgliedschaft in unterschiedlichen Communities angebelangt. Und ich denke, wenn man seine Prioritäten da komisch sortiert, kann sehr schnell einiges im Leben richtig falsch laufen.
Es handelt sich hier also um meine persönlichen Denkmuster zu diesem Thema, die ich in mittlerweile 22 Jahren Online Leben und 45 Jahren Leben so für mich entwickelt habe. Wie bereits gesagt, jeder Mensch ist anders, braucht vielleicht auch andere Denkmuster, aber vielleicht kann dies jemandem eine Hilfestellung bieten :
Beziehung, Familie, Freunde
Meine wichtigste Community ist meine Beziehung, meine Familie und mein Freundeskreis. Auch wenn ich Mitglied in manch anderen Communities bin, hat diese immer die allerhöchste Priorität. Egal was in den anderen Communities anliegt, diese hat immer den ersten Anspruch auf Zeit und Aufmerksamkeit.
Erwerbscommunity
Als Selbständiger im Einzelhandel ist für mich am 2. wichtigsten die Gemeinschaft der Leute, die ich kenne und als meine Stammkunden ansehe. Diese Menschen bestimmen über mein Einkommen, darüber ob ich meine Rechnungen bezahlen kann oder ob ich nächsten Monat nur was zu essen hab oder vielleicht auch ein paar Mal schick Essen gehen kann. Ihre Interessen zu "befriedigen" hat sehr hohe Priorität und absolut direkten Einfluß auf mein Leben. Hier schlampig mit der Pflege von Beziehungen und Unaufmerksam gegenüber diesen Menschen zu sein, würde bedeuten, dass mein ganzer Alltag zusammen brechen würde.
Wäre ich ein Angestellter, würde ich vermutlich auch bei der Arbeitsstelle eine hohe Priorität setzen, aber vermutlich nicht ganz so hoch, da man leichter einen neuen Job finden kann, als mal eben ein neues Business aufbauen. Da ich ein lokales Unternehmen habe, sind viele dieser Kunden auch gleichzeitig Nachbarn, Dorfbekannte, die Menschen mit losen Bekanntschaften, die man aber seit 20-30 Jahren kennt, etc, dies macht diesen Teil zumindest für mich auch noch wichtiger.
Wenn der YouTube Channel vielleicht irgendwann mal Haupterwerb wird, wird diese Community vielleicht teilweise mit der YT Community verschmelzen.
Web-Community
Hier sammel ich alle, mit denen ich im Netz zu tun habe. Dies sortiere ich aber noch etwas feiner in 2 Gruppen. Als erstes ist da der Teil, der von sich aus auf mich zu geht, wie YouTube Zuschauer, Twitter Follower, nur Facebook-Freunde. Also die Leute die irgendwas von mir gesehen oder gelesen haben und dann deshalb mit mir direkteren Kontakt aufgenommen haben. Vermutlich ist das mit dem Begriff "Follower" abzudecken, auch wenn ich den Begriff nicht mag, denn ein Follower hat einen Leader und wenn man Leader übersetzt ins deutsche ist das ein ziemlich negativ behafteter Begriff Wenn jemand Vorschläge hat für einen besseren Begriff wäre ich sehr dankbar.
Ein anderer Teil ist ein Teil, wo ich bewußt hingegangen bin, weil ich mit dieser Gruppe etwas zu tun haben möchte, hierzu zähle ich zB dieses Forum und seine Mitglieder, meine Online Gaming Gilde, Facebook Gruppen, etc. Diese 2. Gruppe ist sehr komplex, manche sind fast wie Familie (Gilde), weil ich sie seit >10-15 Jahren kenne und täglich mit ihnen verkehre, andere sind eher unwichtig, wie die meisten Facebook Gruppen, ihr als Forum-Community liegt da eher in der Oberen Mitte dazwischen.
So kommen wir also dann zu dem besonderen Konstrukt, um das es hier meistens geht.
Die Follower-Community
Meine YouTube Community, um die es Dir vermutlich auch am meisten geht, ist noch im Wachstum. Bei Twitter, Facebook, Insta etc bin ich jetzt noch extremst unwichtig, von daher schreib ich hier mal nur über YouTube, aber das meiste dürfte sich übertragen lassen.
Als ich 10-50 Views pro Video hatte, war es für mich erstmal schwer die Leute zu sortieren und jeder Zuschauer war für sich eine Sensation und sehr wichtig. Diese Menschen sind auch wichtig, sie haben scheinbar ähnliche Interesse wie Du, sie haben Zeit investiert um deinen Content zu sehen und dann sogar vielleicht noch mehr Zeit investiert für den Abo-Knopf und/oder einen Kommentar. Und sie werden sich freuen, wenn du mit ihnen interagierst. Also mach das auch, das ist wichtig.
Ich sehe oft Mini-Creator, die auf keinen Kommentar antworten, nicht mal Herzen vergeben oder Daumen. Das ist nicht der richtige Weg. Wer eine Community aufbauen möchte, der muss sich mit ihr beschäftigen und Zeit aufwenden für diese Menschen. Auf Kommentare reagieren ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Teilweise genauso wichtig wie Videos zu machen.
Wenn der Kanal wächst und größer wird, wechselt das etwas. Mit ein paar tausend Views und 100+ Kommentaren am Tag reicht an irgendeinem Punkt die Zeit nicht mehr, um sich um jeden gleich gut zu kümern, und ich beginne deshalb langsam meine Zuschauer-Community immer mehr nochmals in 4 Rängen zu "sortieren" in meinem Kopf.
Schicht 1: "Die Gesamtmenge"
Die "große Menge" der Zuschauer sehe ich in den Statistiken. Hier sehe ich, welche Themen gut gehen, welche ich besser lassen sollte, weil es keinen interessiert. Hier sehe ich, an welchen Momenten im Video viele Abschalten, weil ich mich vielleicht langweilig ausgedrückt habe, hier sehe ich aber auch, den Trend den die Menge geht. Je mehr Zuschauer man hat, desto eher kann man aus diesen Daten hilfreiches ableiten, denk ich.
Aber man darf diese Daten auch nicht absolut über alles stellen. Denn das bessere ist der Feind des Guten, und nur weil man mit 1-2 Dingen gut zurecht kommt, sollte man nicht vergessen, dass es vielleicht auch noch andere Dinge gibt, die vielleicht viel besser funktionieren. Experimente sind wichtig, aber dann kann man danach wiederrum in den Statistiken sehen, wie die "große Community" darauf reagiert.
Schicht 2: "Die nette, laute Stammzuschauer Menge"
Ich habe Stammzuschauer und die sind mir auch sehr wichtig. Es ist mir eine besondere Ehre, dass diese Menschen ihre Lebenszeit aufwenden, um Dinge die ich gemacht, geschrieben oder gesagt habe aufzunehmen und dann dazu auch teilweise Feedback liefern. Hier findet ein Austausch statt, der auch manchmal sehr persönlich sein kann. Auf jeden Fall investiere ich Lebenszeit für sie und sie für mich, ich denke das ist schon was besonderes.
Da investiere ich auch gern mal einige Minuten, um ganz detailiert auf ihre Fragen einzugehen. Wenn jemand aus diesem Kreis zu mir kommt und Probleme hat, versuche ich zu helfen. Es kann auch mal vorkommen, dass die Meinung dieser Stammzuschauer Videothemen beeinflußt oder Dinge über den Haufen werfen, wie ich etwas mache, weil ich Kritik und Verbesserungsvorschläge gerade dieser Leute als wichtig ansehe. Wichtig, aber nicht als Befehl. Ich find das auch extrem wichtig für den langen Weg, wo einen auch die Stammzuschauer irgendwann verlassen oder sich ändern, dass man nicht 100% hörig für diese Gruppe wird.
Ich seh immer wieder Video-Creator und ganz besonders häufig und teilweise schon richtig schlimm bei Streamern, so ein völlig unterwürfiges Verhalten gegenüber ihren Zuschauern, a la "Sagt mir was ich machen soll in meinem nächsten Video, Stream" oder wo Leute auf Grund von den Aussagen weniger Leute ihren ganzen Content danach ausrichten. Und auch im Stream immer mehr oder weniger sofort hüpfen, wenn ein Zuschauer im Kommentar Bereich was schreibt. Das führt dann auch schnell zu einer miesen Erwartungshaltung auf Zuschauerseite und zu einem devoten Creator, der eigentlich nicht sich selbst zeigt, sondern ein Bild, dass die Zuschauer gern sehen wollen. Für manche mag das ja schauspielerisch eine Art Herausforderung darstellen, aber ich halte das für gefährlich.
Auch wenn ich den Begriff nicht mag, wir reden hier von "followern", das hat was damit zu tun, dass diese Leute Respekt gegenüber dem haben, was ihr macht und sagt. Mit unterwürfigem Befehlsempfänger Verhalten kann man sich den Respekt nicht verdienen, sondern man untergräbt alles, was man vorher an Respekt aufgebaut hat.
Hier verliert man sich auch selbst irgendwann, denke ich. Wenn man nur dem Zuschauer hinterher hechelt, wird man zu einer Marionette und das ist der beste Weg nach einiger Zeit den BurnOut zu bekommen, von dem so viele YouTuber reden und schreiben. Die Stammzuschauer sind wichtig, aber nicht die oberste Priorität, vielleicht werden sie noch wichtiger, wenn sie wirklich Jahrelang dabei sind. Dazu kann ich jetzt noch nicht direkt was sagen. Vermutlich gibt es dann die Möglichkeit, dass ganz selten mal einzelne aus dieser Gruppe in die Kategorie "Freunde" aufsteigen, aber da wäre ich sehr vorsichtig. Sowas braucht Jahre.
Und denkt immer daran, dass ihr bei eurem Kanal "bleiben müßt", zumindest ist es etwas langfristiges, in das ihr hunderte oder im Laufe der Zeit viele tausend Stunden eures Leben investiert. Dies einfach aufzugeben wird aber mit jeder Stunde, die ihr investiert, nach und nach immer schwieriger. Diese Stammzuschauer, die momentan Euch intensiv anschauen, aber jeden Tag aufs neue wieder die Entscheidung treffen können, ach ne, der Kanal ist doch nicht mehr interessant und sie können einfach wortlos woanders hingehen. Für sie ist es viel einfacher sich zu trennen als für Euch.
Und wenn ihr Euren Content und vielleicht sogar zu einem kleinen Teil Euch selbst auf diese Leute ausgerichtet habt und diese dann gehen, seht ihr sehr verlassen aus. Darum bleibt ihr selbst, macht die Dinge die für Euch wichtig sind. Macht nur Sachen, wo ihr dahinter steht, und fangt nicht an Kram zu machen, nur weil Zuschauer das von Euch verlangen, wenn dies nicht Euer Ding ist. Ihr lauft Gefahr Euch und Euren Kanal aus der Bahn zu bringen. Ihr müßt der Mittelpunkt sein. Dies gilt zumindest für die meisten Kanäle, für einen HowTo Channel ist das vermutlich weniger wichtig, da zählt nur die Information pur.
Schicht 3: "Normal-Zuschauer":
Hier sinken die Prioritäten. Also die "Normalos" sind nicht unwichtig, das will ich nicht sagen, denn aus dieser Menge gewinnt man neue Stammzuschauer. Von daher macht es auch Sinn Zeit in sie zu investieren, vielleicht steckt hier ein wichtiger Mensch der Zukunft und wenn man sie nicht beachten würde, verpasst man das vielleicht. Aber hier gilt noch viel mehr, jeder dieser Zuschauer kann mal zufällig da sein und danach niemals wieder auftauchen. Also nicht zu viel Aufmerksamkeit und vor allem, nicht hinterher hecheln und mit einem "Ja, lieber Zuschauer, mach ich sofort" Verhalten auf sie zugehen.
Schicht 4: "Trolle und Hater":
Kommen wir beim Bodensatz an. Die meisten Personen in dieser Gruppe interessieren sich nicht die Bohne für Euch. Ihnen macht es Spaß Eure Zuschauer gegen Euch aufzubringen und Euch runterzuputzen. Aber irgendwie seit ihr auch wichtig für sie, so eine Art Haßliebe. Manche behaupten ja, dass solche Beziehungen die intensivsten sind
Hier kommt es vor allem darauf an, wie stark ihr euch seelisch gerade fühlt. Wenn eure Psyche gerade eher verletzlich ist und ihr generell nah am Wasser gebaut seit, dann ignoriert diese Leute soweit ihr könnt und sie Eure anderen Schichten nicht angreifen. Aber ansonsten, ban, delete & forget
Falls ihr gerade stark seit und freie Zeit habt, kann man sich mit dieser Gruppe beschäftigen. Ein Haßliebe bietet die Option den Haß zu reduzieren und die Liebe zu verstärken. Etwas Liebe ist ja dann doch schon da drin, und da kann man eventuell aufbauen. Oft sind Trolle und Hater Personen denen es an Aufmerksamkeit mangelt. Meistens haben sie ein schweres Leben, wo sie extrem untergehen und versuchen dies zu kompensieren indem sie anderen Menschen das Leben schwer machen. Da zitiere ich mal die Ärzte "Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe". Manchmal kann man sie dann etwas glücklicher machen, indem man sie beachtet und mit ihnen versucht auf einer normalen Ebene zu kommunizieren. Einfach die Beleidigungen und Gemeinheiten komplett ignorieren und versuchen rational auf sie einzugehen. Psychologisch ist ein Troll meistens mehr in der Emotionalen unbedachte Ebene, wenn man es schafft ihn vom Fühlen mehr zum Nachdenken zu bekommen, kann dies den Troll-Reiz in seinem Gehirn eventuell unterbrechen. Ok, hier geht es in Richtung Freud, 3 geteiltes Bewußtsein, etc Könnt ihr ja mal nach Googlen.
tl;dr:
Jeder Mensch ist ein Individuum, aber unser Gehirn denkt gern in Schubladen. Teile deine Communities sorgfältig ein und mache Dir bewußt, dass nicht alle gleich wichtig sein können. Achte immer darauf, dass Du das Wichtigste in deinem Leben bist. Communities sind wichtig, aber nicht wichtiger als Du selbst.